Definition – Myofunktionelle Störung

Der Begriff „myofunktionell“ setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort „myo“ und dem lateinischen Wort „functio“. Es bedeutet so viel wie die Funktion der Muskeln betreffend, ganz speziell die Muskeln des Mundes (oral) und des Gesichtes (facial). Dennoch werden Sie sehen, dass bei einem Ungleichgewicht der Zungen- und Gesichtsmuskulatur oft auch die ausgeglichene Spannung des ganzen Körpers in der Therapie gefördert wird.

Symptome/Anzeichen für eine myofunktionelle Störung

Die folgenden Kennzeichen sind typisch für eine Myofunktionelle Störung. Das bedeutet nicht, dass jedes Symptom bei jedem Kind auftritt oder gleich stark ausgeprägt ist.

Die Lippen

In einer ruhigen Situation (z.B. Lesen oder Fernsehen) zeichnet sich die Mimik des Kindes oftmals durch einen offenen Mund aus, die Lippenmuskulatur ist zu schwach. Durch die offene Mundhaltung wird die Lippenmuskulatur nicht beansprucht, wodurch sich die Oberlippe verkürzt und nach oben rollen kann. Prinzipiell werden Muskeln, die man nicht benutzt kürzer. Die Unterlippe hängt dabei meist unterspannt nach unten, ist verdickt und geschwollen. Das Kind atmet überwiegend durch den Mund. Beim Schlucken sind die Lippen oftmals geöffnet oder fest aufeinander gepresst. Korrekt ist das leichte Aufeinanderliegen der Lippen, ohne sichtbare Lippenbewegungen im Ruhezustand und beim Schlucken (vgl. Kittel, 2011).

Die Zunge

Häufig zu beobachten ist eine schlaffe Zunge, die für andere Personen sichtbar im leicht oder weit geöffneten Mund liegt. Dabei berührt die Zunge die oberen und/oder unteren Front- und Seitenzähne. Beim Schlucken presst sich die Zunge ebenfalls gegen oder zwischen die Zähne. Der Druck, mit dem die Zunge bei jedem Schlucken auf die Zähne einwirkt, ist sehr groß. Dieses hat ungünstige Folgen für den Stand der Zähne. Korrekt ist die Lage der Zunge zu Beginn des Schluckens und in Ruhe (Zungenruhelage), wenn die Zungenspitze einen leichten, flächigen Kontakt mit dem harten Gaumen hinter den oberen Frontzähnen hat. Die Zunge berührt die Zähne nicht. In der Therapie wird diese Position der Zunge oftmals kindgerecht als ZAP = Zunge am Platz (vgl. Kittel, 2011) oder „Zungenschlafplatz“ bezeichnet.

Die Zähne/der Kiefer

Die Kraft der Zunge ist enorm. Sie verschiebt die Zähne und beeinflusst das Wachstum des Kiefers deutlich. Es kann zu Fehlstellungen der Zähne kommen, die ein/e Kieferorthopäde/in regulieren kann.

Die Aussprache

Eine fehlende oder ungünstige Spannung der Lippen- und Zungenmuskulatur, sowie Auffälligkeiten in Funktion und Form von Kiefer und Gaumen begünstigen häufig eine fehlerhafte Aussprache. Oftmals betroffen sind die Laute: [s]; [z]; sch [∫] und z [ts].

Die Körperhaltung

Oft ist bei einer Myofunktionellen Störung nicht nur das System „rund um den Mund“ betroffen, sondern auch die Muskelspannung des gesamten Körpers (vgl. Kittel, 2009). Ist die Muskelspannung im Mund eher schlaff (hypoton) oder verspannt (hyperton), spiegelt sich dies in der gesamten Körperspannung wider.

Die Atmung

Kinder mit Myofunktioneller Störung atmen häufig durch den Mund. Die Mundatmung begünstigt entzündliche Vorgänge im Hals-, Nasen- und Rachenraum und schwächt das Immunsystem des Kindes. In Folge dessen treten verstärkt Infekte der Atemwege auf. Die Atmung sollte möglichst durch die Nase erfolgen. Bitte klären Sie ärztlich ab, ob Ihr Kind frei und ohne Hindernis durch die Nase atmen kann.

Orale Habits

Orale Habits sind Gewohnheiten des Mundes, die sich negativ auf die Funktion der Muskulatur des Mundes, die Form des Kiefers und Gesichtes auswirken. Zu den oralen Gewohnheiten gehören zum Beispiel: Daumen-, Finger- oder Lippenlutschen, aber auch Nägel-, Lippen- oder Wangenkauen. Lange und intensiv bestehende Gewohnheiten bewirken vielseitige Veränderungen im Aufbau und Aufgabe des gesamten Sprech- und Schlucksystems.

Ursachen

Zur Entstehung einer Myofunktionellen Störung können mehrere Ursachen gleichzeitig beitragen. Einige der häufigsten Ursachen folgen nun in einer Übersicht:

Komplikationen bei der Geburt

Sauerstoffmangel während der Geburt, der unbemerkt für alle Beteiligten aufgetreten sein kann, kann zu einer minimalen Funktionsstörung der Muskulatur führen, die sich auch im Gesichts- und Mundbereich auswirkt.

Stillverhalten/Flaschenernährung

„Eine Stilldauer von 6 Monaten kann der Entwicklung einer Myofunktionellen Störung entgegenwirken“ (Kittel, 2009, S. 40). Eine zu frühe Umstellung vom Stillen zur Flasche kann sich negativ auf die Mundmuskulatur auswirken. Die Wahl des Flaschen- und/oder Beruhigungssauger spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, um möglichen Zahn-, Kiefer- und Muskelschwierigkeiten vorzubeugen. Für weitere Informationen lesen Sie bitte in Anita M. Kittels Ratgeber: Myofunktionelle Störungen- ein Ratgeber für Eltern und erwachsene Betroffene (Schulz-Kirchner Verlag, 2012).

Lutschgewohnheiten (Habits)

Lutschgewohnheiten sind zum Beispiel das Daumenlutschen oder Flaschennuckeln. Dadurch wird Druck auf die Zähne ausgeübt, die Zunge findet nicht ihre richtige Position in Ruhe und beim Schlucken.

Behinderte Nasenatmung

Durch Allergien, vergrößerte oder entzündete Mandeln bzw. Polypen wird die Atmung durch die Nase behindert und eine Mundatmung ist die Folge. Die geöffneten Lippen sind nicht aktiv, verlieren an Spannung und können auch nach erfolgreicher Allergiebehandlung gewohnheitsmäßig in geöffneter Position verbleiben.

Prophylaxe/Prävention

Die folgenden Punkte erläutern, wie Sie einer Myofunktionellen Störung vorbeugen können.

Säuglingsernährung

Schon sehr früh können Sie etwas für die orofaciale Muskulatur Ihres Kindes tun. Durch das Stillen bis zum 7. Lebensmonat wird die Muskulatur im Mund-Gesichtsbereich trainiert. Ein zu frühes Abstillen verringert den Übungseffekt. Falls Sie nicht die Möglichkeit haben, Ihr Kind in diesem Umfang zu stillen, ist ein Sauger mit breiter Lippenauflage empfehlenswert. Vergrößern Sie das Saugloch nicht, obwohl die Flaschenmahlzeit dadurch zeitintensiver werden kann. Ihr Kind kann nur durch das intensive, ganzheitliche Saugen die gesamte orofaciale Muskulatur stärken.

Nach der Stillzeit sollte Ihr Kind bald mit dem Löffel essen und lernen, aus der Tasse zu trinken. Bitte geben Sie Ihrem Kind nicht dauerhaft die Flasche abends zum Einschlafen oder zum Nuckeln.
Eine ausgewogene Ernährung, die weichere und härtere Nahrungsmittel (z.B. Brotrinde nicht abtrennen) umfasst, bietet die Chance, dass Ihr Kind während der Nahrungsaufnahme automatisch seine Mundmuskulatur trainiert und stärkt.

Gewohnheiten

Wenn Sie beobachten, dass Ihr Baby dazu neigt am Daumen zu lutschen, dann versuchen Sie es auf den Schnuller umzugewöhnen. Das Lutschen am Daumen verändert den Kieferknochen und kann schlechter abgewöhnt werden als der Schnuller.
Allerdings sollte der Schnuller nur bei Bedarf gegeben und mit etwa 2 bis 2,5 Jahren abgewöhnt werden.
Tipp: Wenn Ihr Kind mit einem Schnuller einschläft, ziehen Sie ihn nach dem Einschlafen vorsichtig heraus und versuchen Sie den Mund Ihres Kindes zu schließen.

Atmung

Achten Sie bitte darauf, dass Ihr Kind durch die Nase atmet und den Mund dabei geschlossen hält.
Allergien, wie z.B. gegen Hausstaubmilben, Gräser oder Pollen, provozieren das ständige Offenhalten des Mundes, weil die Nasenatmung behindert ist. Dies trägt zur Erschlaffung der Gesichtsmuskulatur mit Auswirkung auf die Gesamtkörperhaltung bei. Informieren Sie sich beim Allergologen (meist Hautärzte), welche wirksamen Gegenmaßnahmen möglich sind.

Quellenangabe

Literatur:

Franke, Ulrike (1997): Prävention von Kommunikationsstörungen. Stuttgart: Urban & Fischer-Verlag
Kittel, Anita M. (2011): Myofunktionelle Therapie. 10. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag
Kittel, Anita M. (2012): Myofunktionelle Störungen. Ein Ratgeber für Eltern und erwachsene Betroffene. 4. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag